Post von Franziska Nailis aus Thessaloniki
Franziska Nailis aus der Gemeinde Zeitfenster nutzt drei Monate freie Zeit, um in Griechenland Geflüchteten zu helfen. Bei unserem September-Gottesdienst hat die Gemeinde für sie gesammelt, weil Franziska ihre Anreise und ihren Aufenthalt selber finanzieren muss. Es sind über 1000 Euro zusammen gekommen. Dafür nochmal allen ganz herzlichen Dank! Franziska hat uns jetzt geschrieben:
Liebe Zeitfenstergemeinde,
seit knapp 4 Wochen bin in ich jetzt in Griechenland. Als ich vom Flughafen abgeholt wurde, ging es ohne Zwischenstopp zur ersten Gemüseverteilung in einem von den ca. 20 Camps in Nord Griechenland.
Man muss auf einer Liste stehen, um die Camps überhaupt betreten zu können und sich ausweisen. Die Camps liegen auffallend weit außerhalb. Man fährt nicht aus Versehen mal daran vorbei und wundert sich, was dort passiert. Die Aufmerksamkeit, wie sie zum Beispiel das Camp Idomeni bekommen hat, ist unerwünscht. Für unsere Arbeit und für die Geflüchteten aber wäre mehr Öffentlichkeit wirklich hilfreich. Als Inter European Human Aid (IHA) sind wir hauptsächlich für die Verteilung von gespendeten Gütern zuständig. Wir kooperieren mit dem „Team Bananas“ – wie der Name schon sagt, verteilen wir gemeinsam Bananen: In manchen Camps an jeden Geflüchteten eine (!) in anderen Camps nur an die Kinder. Vielleicht für viele Zuhause in Deutschland unvorstellbar, was das bedeutet. Ein Moment der Freude. Sind die Bananen verteilt, kommt eine große Musikbox zum Vorschein. Wir spielen Lieder wie „Aramsamsam“ und „Macarena“. Viele Kinder tanzen mit, diese glücklichen Momente und das Lachen sind wirklich unbezahlbar. Oft ist es schon so, dass wir von einer kleinen Horde Kinder erwartet werden. Sie fragen „Banana? Ramsamsam?“.
Wenn das Spendengeld für Bananen nicht reicht, ernten wir selbst mehrere hundert Wassermelonen auf dem Feld. So konnten wir an jedes Zelt in Nordgriechenland eine Melone verteilen! Im bevorstehenden Winter werden wir auf Gemüse umgestiegen, auch das ist sehr gefragt. Wir fahren mit dem Van das Gemüse vom Markt holen, packen es in Tüten und bringen es in die Camps. Wenn wir kommen, ist etwas los. Es ist einmal die Ware selbst, aber natürlich auch die Abwechslung, die unserer Besuch bringt. Immer gibt es sehr motivierte Kinder, die uns unbedingt bei der Verteilung helfen wollen.
Ein tolles Projekt, das wir vor einer Woche neu gestartet haben, ist eine Kleidungsverteilung. Mit Würde und Menschlichkeit, wie man sich es sich erhoffen kann. Regulär werden Kleider in den angegeben Größen vorgepackt in Tüten an die einzelnen Zelte verteilt. Meine Kollegen und ich wollten es verbessern: Wir haben eine Art Secondhand-Laden aufgebaut, jeder wird registriert, bekommt eine Wartenummer und Tee. Dann darf jeder Geflüchtete zwei Teile pro Person selber aussuchen, anprobieren, umtauschen. Ein echtes Shoppingerlebnis also! An Sachspenden hierfür mangelt es nicht, eher an Manpower. Aber jeder hier gibt sein Bestes, um alle etwas glücklicher zu machen.
Auf der persönlichen Ebene ist die ganze Erfahrung schon sehr heftig. Niemals hätte ich erwartet, in meinem Leben mal tagtäglich mit Schmugglern zu tun zu haben. Oder Gang-Anführern. Aber das gehört hier zum Alltag. Richtig in Gefahr kommt man als Freiwilliger zwar nicht, aber es ist Vorsicht geboten.
Die Berichte, die man aus den Nachrichten zu Hause kennt, verknüpfe ich jetzt mit Gesichtern von Menschen, die ich hier täglich kennenlerne. Persönliche Schicksale aus erster Hand zu erfahren, berührt eben anders. Kriegsgeschichten kannte ich ehrlich gesagt bis vor vier Wochen aus Romanen und Geschichtsbüchern. Jetzt kommen sie mir auf einmal sehr nah und werden viel realer als man es eigentlich aushalten kann. Mädchen, um die 10 Jahre, die so gerne lernen wollen – für die es, wenn sie Glück haben, eine Stunde Schule am Tag gibt. Mütter mit Kindern, die seit Idomeni-Zeiten in Griechenland regelrecht fest stecken und deren Männer, Väter, Brüder schon seit Jahren in Deutschland sind. Familien, die sich seit Jahren nicht gesehen haben …
Am meisten begeistert mich die Bereitschaft derer, die am wenigsten haben, immer alles teilen. Wenn wir an einem heißen Tag Bananen verteilen, kommen immer wieder Menschen aus ihren Zelten, um uns Wasser zu bringen, laden uns zum Essen ein und am liebsten zum Tee trinken. Solche Momente sind immer wieder schön. Obwohl ich kein Arabisch oder Kurdisch spreche, kann ich mich nach einer Weile doch erstaunlich gut verständigen, und dann wird auch viel gemeinsam gelacht.
Noch zu mir: Übrigens habe ich innerhalb kürzester Zeit viele Dinge im Schnellverfahren gelernt – Erste Hilfe, Selbstverteidigung und Van fahren zum Beispiel. Als freiwilliger Helfer wohne ich in einer WG mit anderen Helfern. Wir sind immer so 10 Personen und haben 4 Zimmer in Thessaloniki bzw. einem Vorort namens Kalochori. Das ist eine ganz tolle bunte Gruppe aus Engländern, Spaniern, Östereichern, Schweizern u.s.w. Einer von uns ist Fotograf – ich glaube, wenn ihr seine Fotos seht, versteht ihr, was hier los ist. Schaut es an. Macht euch ein Bild.
Hier der Link http://davidlohmueller.com/de/refugee-camps-greece/
Für die Kollekte möchte ich bei euch allen sehr herzlich bedanken und freue mich auf ein Wiedersehen.
Eure Franziska Nailis