Sei verspielt

Impuls #6 zur 40-Tage-Zeit // Zeit zu fliegen

Auch zum Hören:

Impuls #6: „Sei verspielt“ von Jürgen Maubach (MP3)

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In den letzten Wochen haben wir hier über die vielen erstaunlichen und vernünftigen Sachen berichtet, die unsere schlauen Raben so machen. Was mich aber noch viel mehr fasziniert, sind die anscheinend törichten Dinge, die Raben so treiben. Tierforscher und Rabenspezialist Bernd Heinrich behauptet, sie machten regelrechten Quatsch – das würden andere Tiere so nie machen. Rabenvögel sind Meister darin, sich unsinnige Dinge auszudenken, wo wir als menschliche Beobachter denken: „Das tun die doch nur, weil es ihnen Spaß macht.“ Und dann beschreibt er, dass Kolkraben auf dem Bauch schneebedeckte Hänge herunterrodeln, Scheibenwischer von parkenden Autos klauen oder Loopings im Flug drehen, wenn sie abends allein zum Schlafplatz zurückkehren. Dohlen setzen sich auf Außenspiegel von Autos und lassen sich durch die Gegend fahren, Saatkrähen picken auf die Ventile von Autoreifen und lassen sich die austretende Luft ins Gesicht blasen. Einen Überlebensvorteil bietet das alles nicht. Bernd Heinrich ist überzeugt, dass kluge Tiere verrückte Dinge tun müssen: „Das ist der Preis, den man für die Intelligenz bezahlt.“

Ihr kennt das sicher auch, wenn ihr länger intensiv gearbeitet habt, dann verspürt ihr den dringenden Wunsch abzuschalten. Und das gelingt am besten, wenn wir uns mit etwas Zweckfreiem beschäftigen, Fußball spielen oder wenigsten zuschauen, ein Puzzle legen, einen Filme ansehen, Musik machen, wandern gehen, kochen und essen genießen, das über die reine Nahrungszubereitung und -aufnahme hinausgeht. Diese und viele andere schöne Dinge gehören zum Menschsein dazu, wie das Ein- und Ausatmen. Nach Friedrich Schiller sind wir nur da ganz Mensch, wo wir spielen – also einer zweckfreien Tätigkeit nachgehen.

Dass wir diese Zeiten für uns haben und auch genießen können, ist aber heute, wo sich alles nach Tempo und Effektivität ausrichtet, gar nicht mehr so selbstverständlich. Da bleibt oft wenig zweckfreie Zeit, Zeit zum Spielen und zur Muße. Dabei wissen wir, dass unser Gehirn die zweckfreien Zeiten zur Regeneration braucht. Wenn wir diese Rhythmen kennen und respektieren ist das die beste Prophylaxe gegen das viel bemühte Burn-out-Syndrom. Wir haben diese Zeiten nötig, aber sie tauchen in unseren Kalendern und auf unseren To-do-Listen eher selten auf.

Geh doch mal im Kalender durch deine letzte Woche und schau mal, wann du zweckfreie Zeit hattest (ohne Schlaf) und was du da so gemacht hast.

Entscheidend ist aber nicht die Menge der zweckfreien Zeit, sondern der Rhythmus. Das weiß schon der erste Schöpfungsbericht in der Bibel, der von der Erschaffung der Welt, oder besser von der Entstehung der Wirklichkeit erzählt. Die alte Dichtung atmet nämlich die Struktur von Schaffen, Schauen und Ausruhen in immer wiederkehrender Form.

Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde.
Und die Erde war wüst und leer,
und es war finster auf der Tiefe;
und der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser.
Und Gott sprach: Es werde Licht!
Und es ward Licht.
Und Gott sah, dass das Licht gut war.
Da schied Gott das Licht von der Finsternis
und nannte das Licht Tag und die Finsternis Nacht.
Es wurde Abend und es wurde Morgen: der erste Tag.
(Genesis/1. Mose 1,1-6)

Sechs Tage lang schafft Gott so in diesem Epos: Tag und Nacht, Himmelsgewölbe und Wasser, Land und Meer, Pflanzen, Sonne, Mond und Sterne, Fische und Vögel und zuletzt die Landtiere und den Menschen. An jedem Abend tritt er zurück und schaut und begutachtet. Und dann kommt die Pause der Nacht, bevor es am nächsten Morgen weitergeht. Aber die Schöpfung ist unvollkommen, so lange der siebte Tag fehlt, der Sabbat. Alle Mühe und Arbeit erhalten erst durch die Zeit der Ruhe und Muße ihre Bedeutung und Vollendung.

Am siebten Tag vollendete Gott das Werk,
das er geschaffen hatte,
und er ruhte am siebten Tag,
nachdem er sein ganzes Werk vollbracht hatte.
Und Gott segnete den siebten Tag und erklärte ihn für heilig;
denn an ihm ruhte Gott,
nachdem er das ganze Werk der Schöpfung vollendet hatte.
(Genesis/ 1. Mose 2,2-3)

Es gibt eine Vielzahl von Geboten zum Schutz des Sabbats, über die wir heute als Nichtjuden vielleicht schmunzeln. Aber sie haben nur einen Grund, uns Menschen vor der Verzweckung zu schützen und einen Freiraum zu öffnen, in dem wir den guten Kontakt zu uns und der Kraft, die uns am Leben hält, Gott, zu bewahren. Natürlich ist spontaner Quatsch oft herzerfrischend und das verrückte Herumspinnen sehr befreiend. Nutze es aus, wann immer es sich ergibt! Der Siebentage-Rhythmus erinnert uns aber daran, dass es zum Menschsein notwendig ist, in regelmäßigen Abständen unsere Anstrengungen loszulassen und im Spiel, in der Muße, in der Meditation oder in der Liebe die belebende Kraft der Gegenwart Gottes zu erleben. Dabei verwandelt sich das von außen auferlegte Gebot in etwas, mit dem ich mir etwas Gutes tue.

Mit welchem „Gebot“ könntest du dir etwas Gutes tun? Schreibe dir dein persönliches Sabbatgebot noch heute in deinen Kalender!

Blockiere in deinem Kalender mindestens einmal pro Woche eine ausreichend lange Zeit, in der du alle Anstrengung loslässt und nichts tun musst.

Mogele in deine To-do-Listen immer mal wieder Worte wie „Spielen“, „Quatsch“, „Spaß“ oder „Muße“. Sie stellen die gesunde Balance zum Leben wieder her.

Jürgen Maubach, Zeitfenster Aachen

 

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