Ich hab dich oft vermisst dieses Jahr, sag ich und wringe im Hausflur meine Handschuhe aus, während mein Fahrrad vor sich hin tropft. Ich dich auch, sagt Gott. Du musst die Bremsklötze austauschen, übrigens. Ja, sag ich, ich versuch dran zu denken. Wir schauen durch die offene Türe in den Regen. Was für ein Jahr, sag ich. Und ich hätte gehofft, dich gleich beim Weihnachtsgottesdienst zu treffen, wenigstens ganz kurz bei der Musik. Stille Nacht und so. Ja, sagt Gott, das war immer so einfach, sich bei Musik zu treffen, und jetzt geht das so lange nicht.
Es sind so viele alleine, sag ich. Und krank, sagt Gott. Ja, sag ich. Wir haben ziemlich Angst, weißt du. Um Leute und vor dem langen Winter und um alles, was unser Leben sonst schön gemacht hat. Dass das nicht wiederkommt. Mein Fahrrad tropft immer noch.
Es tut mir so leid, sagt Gott leise. Ich wünschte, ich könnte es euch leichter machen. Heute ist Heiligabend, sag ich. Da hättet ihr euch sonst getroffen, sagt Gott. Du und die anderen und ich. In der Kirche und danach. Dieses Jahr nicht, sag ich. Das fühlt sich so seltsam an. Aber du hattest ja schon mehr seltsame Weihnachten, oder. Ja, sagt Gott. Vom ersten Mal an.
Weißt du was, sagt Gott. Du könntest fest an die anderen denken, wenn du die Kerzen nachher anzündest. Das klingt nach einem Plan, sag ich. Und ich geh noch rum und versuche, so viele wie möglich abzupassen, sagt Gott. Die zu Hause und die, die sich irgendwo verkrochen haben. Und dann geh ich wieder ins Krankenhaus. Ich wünschte, ich könnte was tun, sag ich. Frag mich mal, sagt Gott. Wir schauen weiter in den Regen. Ich muss, sagt Gott. Schau mal, sag ich, die Regentropfen in der Pfütze da sehen im Laternenlicht aus wie Sterne. Gott lächelt und wischt sich über die Wange. Da siehst du mal, sagt Gott. Regensterne.
Danke, dass du da warst, sag ich und schließe die Kellertür auf, um mein Fahrrad runter zu tragen. Gott nimmt den Keil aus der Haustüre und dreht sich nochmal um. Frohe Weihnachten, sagt Gott. Und bis bald mal wieder, okay? Ja, sag ich. Dir auch frohe Weihnachten. Und allen, zu denen du jetzt weiterziehst, auch. Amen, sagt Gott und schließt sachte die Haustüre hinter sich.
Liebe Zeitfenster-Freund*innen, wir wünschen Euch und allen, die Euch am Herzen liegen, gesegnete Weihnachten. So vieles ist anders in diesem Jahr. Wir wünschen Euch eine Ahnung davon, dass der Segen Gottes weiter reicht als die Einschränkungen, die Sorgen und die Angst.
Bleibt behütet und zuversichtlich
Annette
für das Zeitfenster-Board