Knack die Nuss

Impuls #4 zur 40-Tage-Zeit // Zeit zu fliegen

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Impuls #4: „Knack die Nuss“ von Annette Jantzen (MP3)

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Raben sind schlau. Wenn ein Rabe eine Nuss knacken will, dann ist er beharrlich. Er klopft auf der Schale herum, und irgendwann kommt er darauf, dass er die Nuss aus großer Höhe auf harten Untergrund fallen lassen kann – Asphalt eignet sich hier gut, Raben haben sich ja an städtische Umgebungen angepasst. Aber manche Nüsse sind auch dafür zu hart. Was macht der Rabe? Nein, er nimmt keine andere Nuss. Er will diese. Also bleibt er dran. Er platziert die Nuss auf der Straße, und zwar so, dass ein Auto drüber fahren muss – ein motorisierter Nussknacker quasi. Und als wäre das noch nicht genug, perfektioniert der Rabe das noch, um nicht unter Lebensgefahr die Nussbröckchen von der Straße klauben zu müssen: Er legt sie an einer Fußgängerampel auf die Straße und wartet, bis er bei Grün zum Aufsammeln kommen kann. Ich finde diese Beharrlichkeit faszinierend, aber noch faszinierender daran finde ich, dass der Rabe es nicht dabei belässt, beharrlich auf der Nuss herumzuklopfen. Beharrlichkeit und Flexibilität zusammen lassen ihn zum Ziel kommen, vermutlich sogar schnabelschonend.

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https://www.youtube.com/watch?v=onA2ve3EDWk

Der Rabe behält sein Ziel unbeirrt im Auge, und er erreicht es, indem er verschiedene Wege geht, etwas Neues probiert, die Potentiale seiner Umgebung nutzt. Mit Beharrlichkeit allein wäre er vielleicht nie an den Kern der Nuss gekommen. Bloße Sturheit reicht nicht, oder man bleibt dabei hungrig. Um zum Kern zu kommen, zur Tiefe meines Lebens, brauche ich Geduld und Phantasie, Hartnäckigkeit und die Bereitschaft, mich auf neues einzulassen. Die Nuss knackt sich nicht von selbst.

Und es ist auch Geschenk dabei: eine Umgebung, in der ich leben kann, die mir helfen kann, auch wenn es nicht auf den ersten Blick so aussieht. Das, was mich zum Kern bringt, zum Geheimnis meines Lebens, zur Erfahrung des Göttlichen, kann erstmal etwas sein, was ich fürchte, was unheimlich und unverfügbar ist.

So ging es Jakob in einer der archaischen Geschichten der Bibel: Jakob war der Enkel Abrahams, und er hatte seinen Bruder Esau um dessen Erstgeburtsrecht betrogen: Um den Segen des Vaters. Aus Furcht vor Esaus Rache hatte er lange Jahre im Exil gelebt, nun wollte er zurückkehren. Er bewegte sich vorsichtig, er sandte Boten mit Geschenken für Esau vor sich her, er überquerte bei Nacht den Fluss Jabbok, der die Grenze zu Esaus Gebiet markierte. Und als er alle seine Habe, sein Vieh und seine Familie hinübergebracht hatte, brachte ihn etwas aus dem Tritt. Im Fluss stand ein Mensch, der mit ihm kämpfte – in dieser Gestalt begegnet Jakob Gott. Sie kämpften die ganze Nacht, und in der Morgendämmerung renkte ihm sein Gegner mit einem Schlag das Hüftgelenk aus. Aber Jakob ließ nicht locker, und als der Mann sich von ihm losmachen wollte, sagte Jakob:

„Ich lasse dich nicht, wenn du mich nicht segnest.“ Der Mann sagte: „Wie heißt du?“ Er antwortete: „Jakob.“ Er sprach: „Du sollst nicht mehr Jakob heißen, sondern Israel, denn du hast mit Gott und mit Menschen gekämpft und gewonnen.“

Den Segen, den Jakob vorher an Esaus Stelle erschlichen hatte, bekommt er nun geschenkt. Aber er muss sich dafür dem Kampf mit Gott stellen – und merken, dass er nicht gewinnen kann, weil Gott auch unfair kämpfen kann. Das heißt aber nicht aufgeben: Statt Zudrücken, jemanden mit dem eigenen Gewicht aus dem Gleichgewicht bringen, jemanden in den Schwitzkasten nehmen tut es vielleicht auch – eine Bitte. Eine nicht besonders höfliche, aber Jakob lernt: Mit Gott kann man auch sprechen.

Und Jakob fragte ihn und sprach: „Sage doch, wie heißt du?“ Er aber sprach: „Warum fragst du, wie ich heiße?“ Und er segnete ihn.

Gott gibt, was Jakob braucht. Und Gott verweigert, was ihn mit Jakob gleich machen würde. Jakob sagt seinen Namen und bekommt einen neuen Namen dazu, ein neues Leben, eine neue Bedeutung für sein Leben. Gott bleibt unbekannt und entzogen. Nach dieser Nacht trifft Jakob schließlich am Tag auf seinen Bruder, der ihm vergibt.

Historisch ist das nicht. Aber es bringt Erfahrungen ins Wort: Von Schuld und Angst, von Überwindung und Hartnäckigkeit, von der Erfahrung, dass etwas mein Leben so ins Wanken bringen kann, dass ich nicht mehr geradeaus laufen kann, davon, trotz allem angenommen zu sein. Jakob knackt die Nuss, dass sein Leben unter einem Segen stehen kann, den er nicht von Rechts wegen bekommen und den er nicht verdienen kann. Jakob erlebt, dass er nicht mehr kämpfen muss, und erlebt gleichzeitig, dass sein kämpferisches Wesen in Ordnung ist. Es darf so sein. Er darf so sein.

Manchmal sind solche Nüsse an offensichtlichen Wendepunkten in meinem Leben zu knacken. Worauf kommt es mir an, wo will ich hin, welchen Sinn hat mein Leben? Ein Umzug, ein neuer Job, ein Todesfall, eine zerbrechende Beziehung, eine Schwangerschaft – solche Ereignisse können mich so aus der Bahn werfen wie Jakob der Schlag auf seine Hüfte. Es geht aber auch eine Nummer kleiner. Die Sehnsucht in meinem Alltag, dass da mehr sein soll als das täglich Gewohnte. Das Staunen über die Kraft des Lebens, die sich mit dem beginnenden Frühling Bahn bricht. Die Frage, für wen ich meine Zeit einsetzen will. Momente im Alltag, Nüsse zum Knacken, die mich unversehens dazu bringen, meinem Leben eine Richtung zu geben oder die Richtung, die ich eingeschlagen habe, zu überdenken.

Aber ich muss das nicht alleine tun und nicht alles auf einmal erreichen.

Ich kann schauen:

Wo klopfe ich ergebnislos auf einer Nuss herum? Wo mühe ich mich ab und komme doch nicht zu einem Ziel? Und wo kann aus meinem Unbehagen etwas Neues werden, wo möchte ich etwas ändern?

Es  hilft, dabei nicht direkt den Weltfrieden und die Antwort auf alle Fragen anzustreben, sondern im Konkreten des eigenen Lebens zu bleiben. Ich kann in Gedanken durch meinen Tag, durch meine Woche gehen und schauen: Wo fühle ich mich eins mit meinem Leben, und wo nicht? Was passt, was passt nicht? Wo könnte ich etwas drehen, die Nuss anders platzieren, wo könnte ich etwas lassen oder etwas neues probieren?

Welche Werkzeuge habe ich bislang genutzt, sind es die richtigen? Oder versuche ich die Nuss mit Watte zu knacken? Tief durchatmen und zum Beispiel den Gedanken zulassen: Wenn ich mehr Frieden in meinem Familienleben haben will, ist es nicht sinnvoll, meinen Frust an meinen Angehörigen auszulassen. Dann brauche ich eher einen Boxsack. Und wenn ich im Job mit einem Kollegen ein Problem habe, hilft es nicht, mit anderen über ihn zu lästern. Dann sollte ich unseren Konflikt angehen oder mir Hilfe dabei organisieren.

Und ich kann schauen: Wo lädt mich meine Umgebung dazu ein, Antworten zu finden, die ich nicht erwartet hätte?

Vielleicht geht es über einen Vertrauensvorschuss: Über das sprechen, was mich gerade bewegt. Andere teilhaben lassen an meinem Leben. Schauen, wen ich in mein Leben lassen könnte oder bei wem ich mich endlich wieder melden möchte. Da draußen sind jede Menge Menschen, die genauso unterwegs sind wie ich.

Bei Herzensthemen braucht es eben beides: neue Wege und Beharrlichkeit. Das richtige Werkzeug und die Hilfe von außen, denn manchmal ist das Leben eine echt harte Nuss.

Annette Jantzen, Zeitfenster Aachen

 

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